Neues Aktienrecht: Kapitalverlust, Überschuldung und Zahlungs(un)fähigkeit gemäss neuer Gesetzgebung
Mit der Reform des Schweizer Aktienrechts, die am 1. Januar 2023 in Kraft trat, wurden auch die Vorschriften zu Kapitalverlust, Überschuldung und Zahlungs(un)fähigkeit angepasst und präzisiert. Diese Regelungen sind für Unternehmen von zentraler Bedeutung, da sie im Falle finanzieller Schwierigkeiten klare Handlungsanweisungen vorgeben. In diesem Artikel beleuchten wir die rechtlichen Neuerungen und ihre Konsequenzen für Verwaltungsräte und Unternehmen.
1. Kapitalverlust gemäss neuem Aktienrecht
Ein Kapitalverlust liegt vor, wenn das Eigenkapital eines Unternehmens durch Verluste so stark reduziert wurde, dass weniger als die Hälfte des nominalen Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven übrigbleibt.
Was müssen Verwaltungsräte tun?
Sobald ein Kapitalverlust festgestellt wird, verpflichtet das neue Aktienrecht den Verwaltungsrat zum Handeln:
- Einberufung der Generalversammlung: Der Verwaltungsrat muss die Generalversammlung unverzüglich einberufen und über die finanzielle Lage des Unternehmens informieren. Die Aktionäre müssen über den Kapitalverlust und die geplanten Massnahmen zur Sanierung oder Kapitalaufstockung unterrichtet werden.
- Massnahmen zur Sanierung: Der Verwaltungsrat sollte der Generalversammlung konkrete Sanierungsmassnahmen vorschlagen. Diese können beispielsweise eine Kapitalerhöhung, die Aufnahme zusätzlicher Finanzmittel oder eine Umstrukturierung des Unternehmens beinhalten.
Unterlässt der Verwaltungsrat diese Pflichten, kann er persönlich haftbar gemacht werden, wenn das Unternehmen durch das Nichthandeln weiter in finanzielle Schwierigkeiten gerät.
2. Überschuldung gemäss neuem Aktienrecht
Eine Überschuldung tritt ein, wenn das Fremdkapital eines Unternehmens seine Aktiven übersteigt. Dies bedeutet, dass die Verbindlichkeiten des Unternehmens nicht mehr vollständig durch das vorhandene Vermögen gedeckt sind.
Schritte bei Überschuldung
Im Falle einer Überschuldung hat der Verwaltungsrat strengere Pflichten. Das neue Aktienrecht präzisiert die Handlungsanweisungen wie folgt:
- Zwischenbilanz erstellen: Sobald Anzeichen einer Überschuldung vorliegen, muss der Verwaltungsrat eine Zwischenbilanz aufstellen. Diese Bilanz ist in jedem Fall von der Revisionsstelle zu prüfen, falls eine solche besteht.
- Anzeige an das Gericht: Sollte die geprüfte Zwischenbilanz eine Überschuldung bestätigen und der Verwaltungsrat keine Aussicht auf eine kurzfristige Sanierung sehen, ist er verpflichtet, das zuständige Gericht zu benachrichtigen. Das Gericht kann in solchen Fällen den Konkurs über das Unternehmen eröffnen oder eine Frist zur Sanierung gewähren.
- Verzicht auf Anzeige: Es gibt jedoch eine wichtige Ausnahme: Die Anzeige beim Gericht kann unterlassen werden, wenn die Aktionäre oder Dritte, beispielsweise Gläubiger, im Umfang der Überschuldung Nachrangvereinbarungen eingehen. Diese Vereinbarungen verschieben die Rückzahlungsansprüche bis zur Beseitigung der Überschuldung, was dem Unternehmen Zeit für eine Sanierung verschaffen kann.
3. Zahlungs(un)fähigkeit
Im Zusammenhang mit Kapitalverlust und Überschuldung stellt sich auch die Frage der Zahlungs(un)fähigkeit eines Unternehmens. Das neue Aktienrecht unterscheidet dabei klar zwischen Zahlungsunfähigkeit und blossen Liquiditätsengpässen.
Unterschied zwischen Zahlungsunfähigkeit und Liquiditätsengpass
- Zahlungsunfähigkeit: Ein Unternehmen gilt als zahlungsunfähig, wenn es nicht in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen und es keine Aussicht auf eine kurzfristige Besserung der finanziellen Lage gibt. Zahlungsunfähigkeit kann ein klares Zeichen für eine bevorstehende Überschuldung sein und sollte umgehend angegangen werden.
- Liquiditätsengpass: Ein vorübergehender Liquiditätsengpass bedeutet nicht automatisch, dass das Unternehmen zahlungsunfähig ist. Hier können gezielte Massnahmen wie eine Umschuldung, die Aufnahme von Krediten oder das Einfordern von ausstehenden Forderungen Abhilfe schaffen.
Pflichten des Verwaltungsrats
Auch bei Anzeichen einer Zahlungsunfähigkeit hat der Verwaltungsrat gemäss neuem Aktienrecht klare Pflichten:
- Überwachung der Liquidität: Der Verwaltungsrat muss sicherstellen, dass die Liquiditätslage des Unternehmens laufend überwacht wird. Bei drohender Zahlungsunfähigkeit muss der Verwaltungsrat Massnahmen zur Sicherstellung der Liquidität ergreifen.
- Insolvenzrechtliche Schritte: Kann der Verwaltungsrat die Zahlungsunfähigkeit nicht kurzfristig beheben, muss er ebenfalls das zuständige Gericht benachrichtigen, um mögliche Insolvenzmassnahmen einzuleiten.
4. Haftungsrisiken für den Verwaltungsrat
Das neue Aktienrecht verschärft die Haftungsrisiken für Verwaltungsräte im Zusammenhang mit Kapitalverlust, Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Wenn der Verwaltungsrat nicht rechtzeitig die erforderlichen Schritte einleitet, können ihm fahrlässiges oder absichtliches Verhalten vorgeworfen werden, was zu Schadenersatzforderungen durch Gläubiger oder Aktionäre führen kann.
Um sich vor Haftungsrisiken zu schützen, sollten Verwaltungsräte sicherstellen, dass:
- Die finanzielle Lage des Unternehmens kontinuierlich überwacht wird.
- Zwischenbilanzen bei drohender Überschuldung rechtzeitig erstellt und geprüft werden.
- Die Generalversammlung ordnungsgemäss über Kapitalverluste informiert wird.
- Bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unverzüglich das Gericht informiert wird, sofern keine Nachrangvereinbarungen getroffen wurden.
5. Fazit
Das neue Aktienrecht stellt klare Anforderungen an den Umgang mit Kapitalverlust, Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Diese Regelungen sollen Unternehmen dazu anhalten, finanzielle Probleme frühzeitig zu erkennen und zu handeln, um Insolvenzen zu vermeiden. Für Verwaltungsräte sind die Pflichten klar definiert, und bei Missachtung drohen erhebliche Haftungsrisiken. Eine professionelle und rechtzeitige Überwachung der finanziellen Lage sowie eine enge Zusammenarbeit mit Rechts- und Finanzexperten sind daher unerlässlich, um im Krisenfall schnell und rechtssicher zu handeln.